Am Fuß des 1852-54 erbauten, 45,5m hohen Turmes, öffne ich das schwere Holztor. Matt leuchtet mir das Bild des Kirchenpatrons Stephanus aus der Zeit um 1770 entgegen. Der unbekannte Maler hat die Steinigung des Heiligen, wie sie in der Apostelgeschichte im Kapitel 7 beschrieben ist, in barocker Form dazustellen versucht.
Ich nehme Weihwasser, mache eine Kniebeuge und blicke nach vorne. Ein Raum tut sich auf, der vom Dunkel ins Licht führt. Die Architektur der dreischiffigen Staffelkirche, die noch die Grundstruktur der romanischen Ostturmkirche enthält, lässt mich innehalten. Das Kreuzrippengewölbe aus dem 15. Jahrhundert, aufgesetzt auf Pfeilern und Säulen, scheint sich zu bewegen. Ohne echte Symmetrie führt das Innere den Blick ungehindert zu den Altären, die im seitlichen Lichteinfall, umrahmt von bunten Glasfenstern, stehen.
Ich wende mich nach links, gehe vor bei am Mariä-Lichtmess-Fenster (Lk 2,22-38) zum neugotischen Herz-Jesu-Altar aus 1904 mit der Herz-Jesu-Statue, der Statue rechts der hl. Margareta Maria Alacoque (+16.10.1690), welche die Herz-Jesu-Verehrung förderte, und der Statue (links) der hl. Landgräfin Elisabeth von Thüringen (+1231, Gedenktag 19. Nov.). Quer gegenüber ist an der Pfeilerwand die Statue des hl. Pilgers Rochus (+1327) zu sehen, der auf die Pestbeule am entblößten Schenkel zeigt. Das Standbild stammt vom ehemaligen barocken, schwarz - gold gehaltenen Hochaltar. Rochus ist Pestpatron und Schutzpatron der hierorts seit Jahrhunderten tätigen Steinmetze.
Vorbei am Glasfenster des hl. Einsiedlers Rainer von Pisa (+ um 1160, Gedenktag 17.6.) und der Heiligen Familie über dem Sakristeieingang (versetzt 1982) betrete ich durch eine Spitzbogenöffnung den nördlichen Teil des 1982 nach Plänen des berühmten Salzburger Architekten Prof. Clemens Holzmeister erweiterten Chores. Den Raumabschluss bildet der Marienaltar (erbaut um 1903) mit den beiden Statuen der Eltern der Gottesmutter (dargestellt als Lourdes-Madonna) Joachim und Anna.
Unwillkürlich schaue ich nach oben zur reich gegliederten Holzdecke mit dem schmiedeeisernen Luster. Den Übergang zum Chorraum ziert noch eine kleine Statue der hl. Karmelitin Theresia vom Kinde Jesus (+1897, Gedenktag 1. Oktober) geschnitzt 1989 von Franz Gruber aus Gutenbrunn bei Zwettl. Streng blickt Paulus durch die lettnerartige Holzschranke vom Fenster her zu mir herüber. Gleichsam von ihm gerufen, betrete ich den Chorraum, dessen Mittelpunkt der granitene Volksaltar bildet. Er ist eine Tràpeza, wie in den Paulusbriefen (vgl. 1Kor 10,21): Altar und Tisch zugleich. Hier wird der Tisch des Leibes und Blutes Christi für uns gedeckt. Er wurde vom berühmten Salzburger Architekten Prof. Clemens Holzmeister 1982 entworfen.
Dahinter erhebt sich der 1903 von Johann Schönbauer aus Krummau in Böhmen erbaute Hochaltar mit dem Tabernakel und den Schnitzbildern des Kirchenpatrons Stephanus, des ersten Märtyrers der Kirche (Fest am 26. Dezember), des Diakons und Märtyrers Laurentius (+258, Fest am 10. August) mit dem Rost und des hl. Landespatrons Leopold (+1136, Fest am 15. November) mit der Kirche und Fahne. Im Gesprenge steht die Statue des hl. Josef (Fest am 19. März), der das Jesuskind und eine Lilie hält.
An der Wand sind gotische Fresken zu sehen. Ein anbetender Engel, die Madonna mit dem Kind, der hl. Laurentius und der hl. Stephanus. Den Übergang zum südlichen Zubau ziert eine kleine Statue des hl. Franziskaners Antonius von Padua (+1231, Gedenktag am 13. Juni) mit dem Jesuskind und einer Lilie. Er wird in vielen Nöten, vor allem beim Suchen verloren gegangener Dinge, angerufen.
Immer wieder führt die Gotik nach oben: über Hornabsätze und Dienste wird der Blick zum schlanken Kreuzrippengewölbe im 5/8-Schluss des Chores gelenkt und weiter über das Turmquadrat nach hinten zur Orgelempore. Auf ihr steht eine Krenn-Orgel (1968) aus Graz mit zwei Manualen und vierzehn Registern.
Nachdem ich die beiden Inschriften auf den Wappengrabsteinen aus den Jahren 1682 und 1705 gelesen habe, bewundere ich die Rundfenster in den Zubauten. Als Sonnenfenster von Prof. Clemens Holzmeister gestaltet, nehmen sie das Ährenmotiv auf und spenden reichlich Licht.
Erst jetzt nehme ich die beiden Fresken an den Turmpfeilern wahr. Sie zeigen (nordseitig) den Lanzenstich des Soldaten bei der Kreuzigung Jesu und (südseitig) die hl. Magdalena mit dem Salbengefäß und den darunter knieenden Stifter und darüber in einem Kreis die Stifterinschrift mit der römischen Jahreszahl“1351“. Diese Fresken wurden an der durchbrochenen Nordmauer entdeckt und 1982 hierher übertragen. Ganz oben hängt ein spätgotisches oder frühbarockes Kreuz.
Nun betrete ich das erste südliche Joch, den wohl ältesten Zubau an die romanische Ostturmkirche. Durch die in der Gegenwart freigelegten Fresken werde ich in die Vergangenheit des Mittelalters versetzt. Das „AEIOV“ im Gewölbe erinnert an die Zeit Kaiser Friedrichs III. (1452-1492). Die Evangelistensymbole weisen auch seit jener Zeit auf die Frohbotschaft Jesu hin. Ausgehend vom Buch Ezechiel (1,10) und der Offenbarung des Johannes (4,7) erhält Matthäus, weil er sein Evangelium mit dem Stammbaum Jesu beginnt, einen (Engel-) Menschen zugeteilt (schwer erkennbar); Markus, wegen der „Stimme des Rufers in die Wüste“ (=Johannes der Täufer) einen Löwen; Lukas, wegen des Opfers des Zacharias einen (Opfer-)Stier und Johannes wegen seines Gedankenfluges („Im Anfang war das Wort ...“) einen Adler. Darunter sehen wir an der Ostwand Jesus am Kreuz mit Maria und Johannes (ergänzt) und Weihekreuze aus der Erbauungszeit.
Der barocke Taufstein und das neugotische Fenster mit der Darstellung des hl. Ordensgründers Franz von Assisi (+1226, Gedenktag am 4. Oktober) machen diesen Raum zu einer würdigen „Taufkapelle“.
Durch die Wandöffnung im südlichen Teil der Erweiterung hindurch sehe ich den neugotischen Floriani-Altar. Er bringt die Statuen der Schutzpatrone gegen Feuersgefahr, den hl. Florian (+304, Gedenktag am 4. Mai); gegen die Pest, den hl. Sebastian (+288, Gedenktag am 20. Jänner) mit den Pfeilen; und für das Vieh, den hl. Einsiedler Leonhard (+6. Jh., Gedenktag 6. November) mit Kette. Das „Prager Jesulein“ (dessen Krone leider gestohlen wurde und dessen Original seit 1628 in der Karmelitenkirche in Prag verehrt wird) scheint die Beziehungen zum nördlichen Nachbarland wach zu halten. Auf der Wand gegenüber ist die neugotische Statue des Brückenheiligen Johannes von Nepomuk (+1393, Gedenktag 16. Mai) zu sehen.
Ich gehe weiter nach hinten, vorbei am Fenster des hl. Rudolf (Knabe in Bern +1294, Gedenktag am 17. April) bis zum Choraufgang, der mit einer schmiedeeisernen „Holzmeister“-Tür abgeschlossen ist. Darüber zeigt das Fenster das Bild der hl. Kirchenlehrerin Theresa von Avila (+in der Nacht vom 4. zum 15. Oktober 1582, damals war die Einführung des Gregorianischen Kalenders, Gedenktag am 15. Oktober). Im letzten Joch ist ein Beichtstuhl aufgestellt, ihm gegenüber ist im Fußboden eine Altarplatte mit einem Kreuzchen eingelassen. Sie zeigt die Stelle, wo der mit Kreuz, Sonne und Halbmond, Messbuch und Messkelch verzierte Grabstein aus dem 13. Jahrhundert lag, der nun außerhalb der Kirche beim Seiteneingang aufgestellt ist. Die Gebeine des darunter bestatteten Priesters wurden an Ort und Stelle belassen. Durch den Einbau des Durchganges zum Orgelchor ist es schwer zu erkennen, dass die beiden letzten Joche ein weiterer Zubau zur romanischen Kirche waren, nämlich die „Kapelle der hl. Drei Könige“ wie sie vom 15.-18. Jahrhundert genannt wurde.
Mein Blick fällt noch auf einige Bilder der 14 Kreuzwegstationen. Sie wurden nach dem Führich- Kreuzweg gemalt, 1858 vom Krankenverein Gmünd gespendet und erhielten 1982 neue Rahmen.
Ein schmaler Durchgang führt mich wieder zum Mittelgang der Kirche mit dem Blick zum Tabernakel. Der Herr wollte bei uns bleiben, bis zur Vollendung der Welt. So ist hier das „Zelt Gottes unter den Menschen“ (Offenb. 21,3) aufgeschlagen. Ich verlasse das Gotteshaus. „Gehen wir hin in Frieden!“
Quelle: Stadtpfarrer KR Mag. Rudolf Wagner, April 1996